Interview: „Wir schaffen ein Plus an Tierwohl“

26.03.2024. Die Initiative Tierwohl (ITW) ist das 2015 gegründetes branchenübergreifende Bündnis zur Förderung des Tierwohls. Wir sprachen mit Geschäftsführer Dr. Alexander Hinrichs u.a. über Standards, Marktentwicklung und Wirkung des Haltungsformkennzeichnung.

Herr Hinrichs, der Fleischkonsum in Deutschland sinkt, besonders stark geht der Nachfrage nach Schweinefleisch zurück. Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe? Die Deutschen essen im Vergleich zu anderen großen EU-Staaten immer weniger Fleisch. Das mag zum einen an einem derzeit schlechten Image liegen, zum anderen kann bei Schweinefleisch aber auch der gesellschaftliche Wandel ein Faktor sein. Der Anteil der Menschen in unserem Land, die bewusst auf Schweinefleisch verzichten, wächst.

Das Siegel der Initiative Tierwohl gibt Orientierung beim Einkauf, steht aber im Wettbewerb mit Labeln der Bio-Verbände oder des Tierschutzbundes. Was konkret belabeln Sie? Die Initiative Tierwohl hat es sich zur Aufgabe gemacht, dass möglichst viele Menschen durch ihre Kaufentscheidung etwas mehr für die Tiere tun können. Das bedeutet auch, dass wir möglichst vielen Landwirten die Teilnahme ermöglichen wollen, damit die Ware auch verfügbar ist. Gegenüber dem gesetzlichen Mindestmaß schaffen wir ein solides Plus an Tierwohl, das sich die Mehrheit der Menschen auch leisten kann. Alle Produkte, die das Siegel der Initiative Tierwohl tragen, stammen aus einem an der Initiative teilnehmenden Betrieb.

Wie viele Tiere leben unter verbesserten Haltungsbedingungen und wie viele Landwirte sind involviert? Derzeit profitieren jährlich ungefähr 753 Millionen Tiere von der Initiative Tierwohl – darunter Schweine, Hähnchen, Puten, Enten und Rinder. Über 90 Prozent des Geflügelfleischs im Handel und über 80 Prozent des Schweinefleischangebots stammen inzwischen aus den Betrieben der über 12.000 an der Initiative Tierwohl teilnehmenden Landwirte.

Die Initiative Tierwohl wird vorgeworfen, dass die Kriterien der teilnehmenden Betriebe nicht weit genug gehen. Was tut sich hier absehbar? Die Initiative Tierwohl macht den Landwirten Vorgaben, die nachweislich mehr Tierwohl bewirken als das gesetzliche Mindestmaß. Diese Vorgaben wurden so entwickelt, dass das Gros der Landwirte auch ohne die aus bürokratischen oder finanziellen Gründen nicht möglichen Stallumbauten mehr für die Tiere tun kann. Ferner entwickelt sich die Initiative bei ihren Anforderungen stets weiter. So werden wir beispielsweise ab dem nächsten Jahr für die Schweine 12,5, statt bisher 10 Prozent mehr Platz und Buchtenstrukturierung vorsehen.

Die Initiative Tierwohl zeichnet auch für die Haltungsform-Kennzeichnung verantwortlich, die unlängst von 4 auf 5 Stufen umgestellt wurde. Welche Wirkung entfaltet die Haltungskennzeichnung? 80 Prozent der Deutschen kennen laut einer aktuellen repräsentativen forsa-Befragung die Haltungsform-Kennzeichnung, und 74 Prozent sind davon überzeugt, dass die Kennzeichnung dazu führen wird, dass Tierwohl stärker in die Kaufentscheidung einfließt. Ferner sehen wir eine stetige Verschiebung von Stufe 1 nach Stufe 2 seit Einführung der Kennzeichnung.

Was unterscheidet den ITW-Ansatz von der verpflichtenden staatlichen Tierhaltungskennzeichnung des Agrarministeriums? Die staatliche Kennzeichnung ist kein Tierwohlprogramm, sondern eine Aufgliederung des vorgefundenen Markts. Sie ähnelt also nicht der Initiative Tierwohl, sondern eher der Haltungsform-Kennzeichnung. Aber auch hier gibt es wesentliche Unterschiede. Die Haltungsform-Kennzeichnung bindet die Tierwohlprogramme ein und sorgt auf diese Weise dafür, dass der Kennzeichnung immer auch eine Überprüfung auf den Betrieben vor Ort korrespondiert. Das ist bei der staatlichen Kennzeichnung nicht im Gesetz geregelt.

Stichwort Initiative Tierwohl: Die ITW vereinigt Vertreter aus Land- und Fleischwirtschaft, Lebensmittelhandel und Gastronomie. Sie stellen sich ihrer Verantwortung für Tierhaltung, Tiergesundheit und Tierschutz in der Nutztierhaltung und setzen sich für eine kontinuierliche Weiterentwicklung von Tierwohlstandrads ein. Landwirte werden unterstützt, über die gesetzlichen Standards hinausgehende Maßnahmen zum Wohl ihrer Nutztiere umzusetzen. Die Umsetzung dieser Maßnahmen wird flächendeckend kontrolliert. Das ITW-Produktsiegel kennzeichnet Produkte von Tieren aus teilnehmenden ITW-Betrieben. Das ITW-Siegel finden Verbraucher bei zahlreichen Marken (Eberswalder, Tulip ...), im Handel (REWE, Edeka, Kaufland, Lidl, Aldi, Netto, Penny, Bünting) und in der Gastronomie (dean&david, Wienerwald, McDonalds). Die VERBRAUCHER INITIATIVE gehört dem Beraterausschuss der ITW an. Mehr Informationen: www.initiative-tierwohl.de; www.haltungsform.de