Interview: Per Gentest zur perfekten Ernährung?

28.06.2023. Personalisierte Ernährungsempfehlungen, die kommerzielle Anbieter durch spezielle DNA-Tests oder Stuhlproben ermitteln, versprechen bessere Gesundheit, nachhaltige Abnehmerfolge und Selbstoptimierung. Warum die Tests und Empfehlungen vor allem für die Hersteller ein gutes Geschäft sind, erklärt Angela Clausen von der Verbraucherzentrale NRW.

Was genau ist mit einer personalisierten Ernährung gemeint? Es gibt bislang keine einheitliche Definition, was genau eine personalisierte Ernährung umfasst und um welche Parameter es überhaupt geht. Seit langem bekannt sind individuelle Risikofaktoren für bestimmte Erkrankungen und unterschiedliche Reaktionen, beispielsweise beim Blutzuckerspiegel, nach dem Verzehr von einzelnen Lebensmitteln, wie es an Diabetes Erkrankte kennen. Für diese Betroffenen ist ein personalisierter Ansatz durchaus sinnvoll. Dieser kann dann im Rahmen einer seriösen Ernährungsberatung ausgearbeitet werden. Neu auf dem Markt und immer beliebter sind kommerzielle Angebote, die individuelle Ernährungsempfehlungen auf Basis eines Gentests oder einer Mikrobiom-Analyse aussprechen. Dazu genügt ein einfacher Abstrich der Mundschleimhaut, der an den Testanbieter geschickt und dort im Labor analysiert wird. Wichtig ist hier zu betonen, dass es dafür bislang keinerlei Beweise für ihren Nutzen gibt. Die wenigen Studien, die dazu veröffentlicht wurden, sprechen von „ernüchternden Einsichten“.

Was gilt für Mikrobiom-Analysen mittels Stuhlprobe? Diese Darmbakterien-Tests, für die einfach eine Stuhlprobe eingeschickt wird, kamen in den letzten Jahren zur Optimierung von Ernährungsempfehlungen auf. Dabei ist bislang gar nicht klar, was ein „gesundes“ oder „normales“ Darmmikrobiom ist. Expert/innen gehen davon aus, dass zahlreiche Parameter und Umweltfaktoren für die Zusammensetzung unseres Mikrobioms verantwortlich sind − was wir täglich essen ist somit nur einer von vielen. Und unser Mikrobiom verändert sich ständig. Eine einzelne Stuhlprobe ist also nur eine Momentaufnahme ohne große Aussagekraft. Bislang ist keine Ernährungsform und auch kein einzelnes Lebensmittel bekannt, das unser Mikrobiom nachweislich stark beeinflusst. Selbst extreme Diäten zeigten bei den Probanden in Studien nur minimale Veränderungen. Somit fehlt auch bei der Mikrobiom-Analyse der wissenschaftliche Nachweis und damit ein echter Nutzen für Verbraucher/innen.

Warum sind die kommerziellen Anbieter kritisch zu sehen? Den kommerziellen Angeboten fehlt die wissenschaftliche Basis, sie müssen keine Nachweise für den Nutzen ihrer Tests erbringen. Bei den DNA Tests werden meist ausgewählte Genvarianten analysiert – das geht recht einfach und ist günstig umzusetzen. Die so erstellten Profile auf Basis nur weniger Genvarianten sind aber nicht aussagekräftig, um wirklich wirksame Ernährungsempfehlungen aussprechen zu können – meist bedeuten sie ein Verbot zahlreicher Lebensmittel. Gleiches gilt für die kommerziellen Stuhlprobenanalysen. Verbraucher/innen zahlen je nach Anbieter hohe Kosten im dreistelligen Bereich für Tests, für die derzeit keine nachgewiesene Wirksamkeit vorliegt. Für gesunde Menschen gilt: Es ist nicht erwiesen, dass sie durch genbasierte Empfehlungen besser oder schneller abnehmen oder vor einer chronischen, ernährungsbedingten Erkrankung wie Diabetes Typ-2 besser geschützt sind. Häufig beinhaltet die „Beratung“ auch Empfehlungen für die (dauerhafte) Einnahme von speziellen Nahrungsergänzungsmitteln − hiermit wird dann das eigentliche Geschäft gemacht. Schon seit langem untersuchen Forschende, welche Rolle Faktoren wie Genetik, Stoffwechsel oder Mikrobiom in unserem Körper spielen. Aktuell ist die Wissenschaft aber noch nicht so weit, hier grundlegende Empfehlungen auszusprechen.